Workshop Hate Speech

Hass 2.0 und was man dagegen tun kann

Dieser Text entstand aus mehreren Workshops, die ich für Erwachsenenbildungsstätten, die Bundeszentrale für politische Bildung und die Evangelischen Akademien Deutschland gegeben habe.

Hass im Internet kann uns täglich begegnen – man muss nur hinschauen. Ein Großteil der unter 20jährigen ist schon mit Hassausdrücken, beleidigenden Kommentaren, herabsetzenden, diffamierenden, rassistischen Nachrichten in Berührung gekommen.

Eine Viertelmillion Beiträge wurden im zweiten Halbjahr 2018 beispielsweise auf Youtube zum größten Teil wegen Hassrede gemeldet, doch nur knapp ein Fünftel der Beiträge wurden tatsächlich auch gesperrt. Twitter löschte sogar nur acht Prozent der gemeldeten Inhalte. Denn oft begegnet uns Hass unter dem Deckmantel „das wird man doch noch sagen dürfen“ und ist besonders seit dem Aufkommen sozialer Netzwerke, mit deren Aufmerksamkeitsökonomie, stark auf dem Vormarsch meistens unterhalb des elterlichen Radars – auch in Online-Multiplayerspielen und auf öffentlichen Chat-Kanälen von Telegram und Discord, wo Hass für die große Öffentlichkeit zumeist unsichtbar bleibt.

  • Hass ist differenziertbar: Hass gegen Personen und Hass gegen Gruppen
  • Ausdrucksformen von Hass kommen in Deutschland besonders stark aus dem rechten und rechtspopulistischen Spektrum – aber auch aus linksextremen Kreisen, sowie von Misogynen und Troll-Gruppierungen, die Hate Speech als eine Art Unterhaltung betrachten.
  • Hate Speech als medial übertragener Hass gibt es bereits seit den 1980er Jahren, wie die Forscher*innen Danielle Keats Citron und Helen L.Norten von der University of Maryland 2011 in Ihrer Untersuchung über digitale Bürgerrechte im Informationszeitalter nachgewiesen haben.

Warum ist das Thema Hassrede dennoch für alle relevant? Menschen über 40 oder solche, die sich nur sporadisch im Internet aufhalten, begegnen Internethass nur selten. Die Gefahr, dass sie selbst zum Ziel von Hasskampagnen werden, ist gering und umso geringer, je weniger sie politisch aktiv sind, zu einer gesellschaftlichen oder sexuellen Minderheit gehören, und/oder weiblich sind. Doch auch wenn Hassrede nicht alle direkt betrifft, von den Auswirkungen sind alle Menschen betroffen.

Hate Speech im Internet begegnet uns als:

  • politisches Instrument
  • zum Frustablassen
  • als Ausdruck von Subversivität
  • Provokation
  • Unterhaltung

Hass im Internet hat das Ziel, Menschen und Gruppen herabzuwürdigen, auszugrenzen, mundtod zu machen. Widerstand gegen eindeutige Hassäußerungen leisten aber wenige – auch deshalb, weil nicht klar ist, was man überhaupt dagegen tun kann und tun darf. Ist ignorieren nicht das Beste oder bestärkt das die Hater in ihrer Annahme, ihr handeln würde toleriert?

Warum erzeugt Hass so viel Aufmerksamkeit und warum wird diese Aufmerksamkeit in den soziale Netzwerken so belohnt? Um zu verstehen, wie Hassrede funktioniert, kann man sich die ursprüngliche Form von Provokation im Internet ansehen, denn beides funktioniert nach sehr ähnlichen Regeln: Das Trollen. Unter „Trolling“ wird die gezielte, provokative Störung von Kommunikation verstanden.

Trolling 101: Wie trollt man?

  • Trollen bedeutet, dem anderen eine zu Falle stellen, in die man das Gegenüber hineinlockt
  • Trollen ist blosstellen, entlarven und weniger vorwerfen oder beleidigen
  • Trollen muss kurz und schmerzhaft sein
  • Beim Trollen hat derjenige verloren, der sich aufregt oder unter Rechtfertigungszwang kommt
  • Trollen bedeutet, die Kommunikation zu stören und vom Gesprächsthema abzulenken
  • Trollen (der „gute Troll“) wird durchaus von manchen auch positiv gesehen, weil er immer wieder bestehenden Konsens in Frage stellt

Vom Trollen zum Haten

Hassrede ist eine extreme Form des Trollens, die zerstörerisch ist. Hater hassen das, was ihr Opfer tut und sagt. In Hassrede geht es um Ausgrenzung des Gegenübers, und darum es einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen. Doch wenn sogenannte Hate-Shitstorms über Menschen hereinbrechen, an denen tausende von Hatern zeitgleich beteiligt sind und eine Art virtuelle Menschenjagd betreiben, dann geht es auch um Dominanz und um die Deutungshoheit bei bestimmten Themen.

In Deutschland haben in den Jahren 2015 und 2016 – also zum Höhepunkt der sogenannten „Flüchtlingskrise“- rassistische Äußerungen extrem zugenommen. In Großbritannien und den USA hingegen sind aber sexistische, misogyne Hate-Kommentare vorherrschender. Hate Speech hat also etwas mit den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu tun und kann sich regional sehr stark unterscheiden. Es gibt mittlerweile einige Untersuchungen zum Thema Hater und Trolle in Deutschland (siehe Literaturempfehlungen). Einig sind sie sich in dem Fakt, dass die Verfasser aus allen Schichten und Bildungsmileus stammen, und zwar meistens nicht von ganz unten, sondern eher aus der Mittel- und Oberschicht, aber die sich in ihrer sozialen Situation durch einen Abstieg bedroht fühlen – und es sind vorwiegend Männer. Häufig wird bei Hatern und Trollen zudem von einer Veranlagung zu sadistischem, antisozialen Verhalten und einer Tendenz zu narzistischen und machiavellistischen Persönlichkeitsstörungen ausgegangen.

Eine weitere interessante Gemeinsamkeit vieler Hater ist, dass sie ihre Meinungsfreiheit beschnitten fühlen und sie kommentieren im Glauben, dass eine Mehrheit genau so empfindet, wie sie selbst. Das ist die Auswirkung der der sogenannten „Filterblase“. So wird ein digitales Phänomen genannt, welches man gut in dem Satz zusammenfassen kann: „Du siehst nur, was Du sehen willst“. Soziale Netzwerke wie Facebook und Youtube, aber auch die Nachrichtenübersichtseite Google News zeigt einem Benutzer genau die Themen und Beiträge an, für die er sich aufgrund der bisherigen Klicks zu interessieren scheint. Das Phänomen ist vielleicht unproblematisch, wenn es um Katzenliebe oder Flugsimulatoren geht. Es wird gesellschaftlich problematisch, wenn extreme Positionen und Grenzüberschreitungen und Tabubrüche dadurch normalisiert werden.

Ein starkes Element von Hassrede ist nicht nur die Abwertung des Opfers, sondern auch das Stärken des eigenen Identitätsgefühls. Daher tritt bei der Hassrede auch das teilnehmende Publikum stärker in den Vordergrund, bei dem sich der Hater virtuellen Applaus erhofft.

Was tun bei einem Hate-Posting? Praktische Gegenmaßnahmen

Zuerst: Don’t Panic. Ähnlich wie ein Troll, legt ein Hater es darauf an, eine emotionale Reaktion zu erzeugen, denn das gilt als das Zeichen für erfolgreiches Handeln. Aufmerksamkeit ist die Währung der Hater – je mehr Likes und Klicks und Kommentare ein Hate-Posting bekommt, desto zufriedener ist der Hater. Also ist das Ignorieren der bessere Umgang?

Das Ignorieren von Hassnachrichten kann mitunter auch der falsche Weg sein, um mit verstörenden und verletztenden Nachrichten umzugehen, denn die Kommunikation findet meist in einem öffentlichen Raum statt, im dem sich auch andere Teilnehmer befinden, die durch die Nichtreaktion möglicherweise eine verzerrte Wahrnehmung eines Hate-Postings oder einer gesamten Diskussion bekommen. Zudem wird das völlige ignorieren, oder gar der Abschied aus sozialen Medien, als „Silencing“ – zum Schweigen bringen – unter Hatern besonders gefeiert.

Unterstützung suchen / bieten

Den wenigsten Hatern ist bislang wirklich Gegenwind entgegengeschlagen, hat eine Forsa-Umfrage 2017 herausgefunden. Oftmals kämpfen Opfer alleine gegen den Hass. Ist man selbst von einem Hassposting betroffen, ist das wichtigste, sich Unterstützung zu besorgen um nicht das Gefühl zu haben, alleine kämpfen zu müssen. Trifft man auf Hassrede, die sich gegen andere richtet, ist es wichtig, solidarisch zu sein und auch in das Gespräch einzusteigen.

Anlaufstellen und Internetlinks

Eine gute Anlaufstelle, um sich im Netz mit dem Thema Hate Speech auseinanderzusetzen ist die Webseite der No Hate Speech Movement Deutschland. Die vom Europarat initiierte Kampagne ist in mehr als 40 Ländern aktiv: https://no-hate-speech.de/. Der Trägerverein Neue Medienmacher hat auch einen „Helpdesk“ eingerichtet, der sich sehr mit Gegenstrategien beschäftigt: https://www.neuemedienmacher.de/helpdesk/

Eine sehr umfassende Linkliste mit aktuellen Artikeln, Kommentaren und Büchern zum Thema Hate Speech ist auf der Webseite der Bundeszentrale für politische Bildung zu finden: http://www.bpb.de/lernen/digitale-bildung/medienpaedagogik/231236/hate-speech

Im SoziologieBlog setzt sich Sarah Kaschuba über das Verhältnis von Afd und Hatespeech aus soziologischer Sicht auseinander: https://soziologieblog.hypotheses.org/10218

Der Internetaktivist Raul Krauthausen ist selbst schon Ziel von Hate Speech geworden. Er engagiert sich gegen Hass im Internet und beschreibt im Artikel „Hass ist keine Meinung“ seine persönlichen Strategien im Umgang damit: https://raul.de/leben-mit-behinderung/hass-ist-keine-meinung/

Strategien und Typologisierung von Hate Groups: ein Artikel der Amadeu Antonio Stiftung, die sich auch sehr vielseitig mit Hassrede auseinandersetzt: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/hatespeech/strategien-und-typologisierung-von-hate-groups/

Ein Kommentar von Julia Schramm im Puls-Magazin: Warum Frauen im Netz so viel Hass abbekommen: https://www.br.de/puls/themen/netz/netz-hate-frauen-100.html

Hass-Kommentare in Onlinespielen, die sich besonders gegen Frauen richten, beleuchtet der englische Blog „Not in the Kitchen Anymore“
http://www.notinthekitchenanymore.com/

Ein Kommentar von Jürgen Kuri (stellv. Chefredakteur von c’t/heise online) über Hate Speech und freie Meinungsäußerung: https://www.heise.de/newsticker/meldung/Hate-Speech-Hassrede-Und-freie-Meinungsaeusserung-ein-Kommentar-3044035.html

Autorin Dörte Saße über den Zusammenhang von Trollen und Sadismus auf heise online: https://www.heise.de/newsticker/meldung/Internet-Trolle-sind-verkappte-Sadisten-2126070.html

HILFE beim Melden von Hate-Postings in sozialen Netzwerken: http://www.belltower.news/artikel/wie-melde-ich-hassrede-bei-youtube-und-twitter-13551

Der Tumblr-Blog „Perlen aus Freital“ sammelt krude Hate Speech-Kommentare: https://perlen-aus-freital.tumblr.com/

http://hasshilft.de/ ist ein Spendenprojekt, das für jeden gemeldeten Hate Speech-Kommentar Geld für einen guten Zweck spendet.

Eine Literaturauswahl zum Thema Hate Speech

  • Ingrid Brodnig, 2016: “Hass im Netz. Was wir gegen Mobbing, Lügen und Hetze tun können” Kai Kaspar, Lars Gräßer, Aycha Riffi, 2017: Online Hate Speech: Perspektiven auf eine neue Form des Hasses
  • Jörg Meibauer, 2013: Hassrede/Hate Speech : Interdisziplinäre Beiträge zu einer aktuellen Diskussion
  • Rainer Benthin, 2004: Auf dem Weg in die Mitte: Öffentlichkeitsstrategien der neuen Rechten
  • Caroline Emcke, 2016: Gegen den Hass
  • D.K. Citron, H. Norton, 2011: Intermediaries and hate speech: Fostering digital citizenship for our information age
  • V. Dirry, T.G. Rüdiger, 2015: Extremismus in digitalen Spielen